Die Aufklärungstruppe der Nationalen Volksarmee. Zur Geschichte der Aufklärungsbataillone.

Zur Geschichte der Aufklärungsbataillone der Nationalen Volksarmee.
von Cord Schwier *

* zum Autor: Oberst a.D. Cord Schwier war als Oberstleutnant im Jahr 1990 letzter Komandeur des AB-8

 

Wie so vieles waren auch die Jahreschroniken der Verbände in der NVA “geheim” eingestuft und wurden zum Jahresende an das Militärarchiv in Potsdam abgegeben. Heute liegen sie, für die Jahre 1952 bis 1956 noch die Kasernierte Volkspolizei, für die Jahre 1956 bis 1989 die NVA betreffend, weitgehend vollständig im Bundesarchiv/Militärarchiv in Freiburg. lndes: Der Inhalt enttäuscht. Nach vorgegebenem Schema geführt, enthalten sie seitenlang ideologische Nachweise und Statistiken.

Angaben über Strukturen, Stellenbesetzungen, Ausrüstung, Übungstätigkeiten etc. kommen sehr kurz weg und sind oft kaum zu finden. In den Bataillonen selbst war die Neigung, die Geschichte des Verbandes festzuhalten, nicht stark ausgeprägt. Die Gewohnheit der NVA, alles und jedes für geheim zu erklären, mag ein übriges getan haben.

In Folgenden soll bei spärlicher Quellenlage ein kurzer Überblick über die Aufklärungsbataillone gegeben werden. Das Aufklärungsbataillon 8, dessen Jahreschroniken geschlossen vorlagen, dient als typisches Beispiel.

Seine erste Chronik beginnt mit den Worten: „Am 28. Juli 1952 wurde durch VP(=Volkspolizei)-Oberrat Herr in Prora auf Rügen die Kradschützenabteilung aus dem Personalbestand der alten Dienststelle Prora aufgestellt. Am 30.09.1952 war die Aufstellung der Einheit beendet, sie erhielt die Bezeichnung Sonderabteilung 1. Der Personalbestand der Einheit setzte sich zusammen aus 46 Offizieren, 55 Unteroffizieren, 40 Kursanten und 178 Soldaten“.

Ende 1989 schließt die letzte Ghronik des Bataillons mit folgenden Worten: „Maßgeblich beeinflusst wurde die politische Arbeit im ll. AHJ (= Ausbildungshalbjahr, d.V.) durch die friedliche Revolution im Oktober/November 1989. … Die Ratlosigkeit und der mangelnde lnformationsfluss durch das Ministerium für Nationale Verteidigung wirkten sich …negativ insbesondere auf das Berufskorps aus … Diskussionen waren durch Ratlosigkeit geprägt. lm Dezember 1989 (12.12.1989) wurde die Grundorganisation (= Parteiorganisation. d.V.) im AB 8 aufgelöst.“ Zwischen beiden Zitaten liegen fast 40 Jahre Geschichte der Aufklärungsbataillone.

 

Die Aufstellungsphase

„Die Eingliederung der BRD in die aggressive NATO und die Aufstellung der Bundeswehr der BRD erforderten. die Verteidigungsfähigkeit der DDR durch den Aufbau nationaler Streitkräfte grundlegend zu erhöhen…“ (Wörterbuch zur Deutschen Militärgeschichte). Der nähere Blick auf die Aufstellung der Aufklärungsbataillone der NVA zeigt uns eine andere Wahrheit: Bereits seit 1949 gab es in der sowjetischen Besatzungszone mit der „Hauptverwaltung Ausbildung“ (HVA) bewaffnete Kräfte. man sprach von „Offizieren. Unterfiihrern und Mannschaften“ sowie “verschiedenen Waffengattungen“ der HVA (dabei auch schon Aufklärer). und am 3.5.1952 reklamierte Ulbricht „das Recht eines souveränen friedliebenden deutschen Staates auf eigene nationale Streitkräfte“. Mit der Aufstellung der Kasernierten Volkspolizei (KVP) aus der HVA ]uli 1952 beginnt so folgerichtig die Geschichte der NVA und damit auch der Aufklärungstruppe. denn in den ..Bereitschaften“ der KVP gab es neben lnfanterie-. Panzer-. Artillerie- und Panzerabwehrverbänden auch Kradschützenabteilungen. Stäbe und Truppenteile der KVP konnten dann 1956 nahtlos in Mot-Schützen- bzw. Panzerdivisionen umgewandelt (besser: umbenannt) werden.

Als Beispiel sei angeführt. daß das Aufklärungsbataillon 8 (es hieß offiziell noch “Sonderabteilung 1″) im April 1956 bei seiner “Dienststelle Schwerin I” an einer Planiibung teilnahm: “Verstärkte lnfanteriedivision bei der Verteidigung eines Küstenstreifens“. Bis 30.10.1956 waren sechs Divisionen in den Dienst der NVA genommen.

Nicht alle Aufklärungsbataillone waren bereits seit 1952 aufgestellt und ausgerüstet. Bataillon 4 wurde erst 1955 aus einer Kompanie errichtet. und Bataillon 7 trat 1956 mit Fahrrädern in die NVA über. Bataillon 11 wurde gar erst 1965 aufgestellt. nachdem es seit 1959 eine Kompanie als Vorläufer gehabt hatte.

 

Gliederung

Zwischen den Aufklärungsbataillonen der NVA gab es von Anfang an bis 1990 Unterschiede in der Ausstattung mit Großgerät. So hatte beispielsweise Bataillon 9 eine Panzerabwehrbatterie mit Pak M42 aus der KVP mitgebracht. die es als einziges Bataillon bıs mindestens 1959 behielt; und 1988 gab es Bataillone mit je 2 gleichgegliederten Aufklärungskompanien zu je 7 BMP 1, andere mit einer Mischung von BMP 1 und SPW 40 P2; zumindest zwei Bataillone (8 und 11) hatten bereits die Struktur nach „STAN 95“ eingenommen mit einer Aufklärungskompanie (BMP 1) und einer gemischten Aufklärungsausbildungskompanie (BBM 1K. BMP 1, SPW 70 bzw. 40 P2).

Grundsätzlich lassen sich für die Aufklärungsbataillone folgende Gliederungen nachvollziehen:

 

Die Personalstärke schwankte (außer 1961-65) zwischen 177 (1958) und 253 1989) Mann. Ein Vergleich mit den Panzeraufklärungsbataillonen der Bundeswehr ergibt: Spätestens seit 1965 schien im Aufklärungsbataillon der NVA ein Aufklärungsverbund verwirklicht: Panzeraufklärer, Fernspäher und Funkaufklärung in einer Hand! Jedoch: Es schien nur so. Funkaufklärungs- und Fernspähkompanie wurden im Einsatz aus dem Bataillon sofort herausgelöst.

Gegenüber dem Panzeraufklärungsbataillon der Bundeswehr als dem über Jahrzehnte stärksten Verband der gepanzerten Kampftruppen war das Aufklärungsbataillon der NVA deutlich schwächer: Es hatte in etwa die Kampfkraft einer gemischten Panzeraufklärungskompanie der Bundeswehr. Die taktischen Möglichkeiten eines Panzeraufklärungsbataillons (Heeresstruktur 4) mit 34 Kampfpanzern, 10 Spähpanzern, leichter Panzeraufklärungskompanie und Radarzug waren ungleich größer als die des Aufklärungsbataillons (STAN 95) mit 14 BMP 1, 8 BRM 1K und 5 SPW.

 

Die Ausrüstung

Die Ausrüstung war von 1952 bis 1961 nicht aus einem Guss. In der KVP gab es „schwere“ Abteilungen (z.B. das spätere Bataillon 1: T 34/76, SPW 152, Kanone 57 mm, Granatwerfer 82 mm), „leichte“ (z.B. das spätere Bataillon 8: SPW 152, Krad M 72 und Bataillon 9 mit Spähwagen BA-64 „Boby“) und „ganz leichte“ (Bataillon 7: Fahrräder).

1956 begann eine gewisse Vereinheitlichung: T 34/85, SPW 40 oder 152, Krad M 72 (Ausnahme: Bataillon 9: Krad BMW 350, vermutlich Wehrmachtsbestand), daneben gab es noch eine Reihe von „Exoten“: K 61-Fähren auf Ketten bei Bataillon 4, Spähwagen BA-64 bei Bataillon 7; Pak M42 bei Bataillon 9. Zumindest in den Bataillonen 4 und 8 gab es einen Fla-Zug mit 14,5 mm Zwilling auf SPW 40.

Spätestens 1961 mit der Reduzierung der Bataillone auf Kompaniestärke war die Ausrüstung einheitlich: je 5 PT 76, 10 SPW 40 bzw. 40 P.

Mit der Wiedererrichtung der Bataillone 1965 hatte das Aufklärungsbataillon in der 1./- 7 PT 76, in der 2./- 9-10 SPW 40 P/P2 und in der Fernspähkompanie 5 SPW 40.

In der 2. Hälfte der 70er Jahre wurde der BMP 1 eingeführt, dafür entfiel der PT 76. Mitte der 80er Jahre kam zusätzlich der BBM 1K hinzu. Mit der Einführung des BMP 1 (ab Mitte der 70er Jahre) entfiel der „Waffen-Mix“ leicht/schwer und damit auch die Fähigkeit, Aufklärung gewaltsam durchzusetzen.

In der „STAN 95“ hatte das Bataillon 14 BMP 1, 3 BRM 1K und 5 SPW 40 P2 oder 70.

 

Taktischer Einsatz

Die Aufträge, die Aufklärungsbataillon 8 von 1956 bis 1989 in Großverbandsübungen erhielt, lassen deutlich erkennen, wie sich das Einsatzprofil der Aufklärer seit 1956 verändert hat. Folgende Entwicklungsschritte sind nachzuvollziehen:

1956-1961: Das Aufklärungsbataillon wurde als ein sehr beweglicher, der Infanterie verwandter Verband verstanden, der für selbständige Sonderaufgaben besonders geeignet war. Typische Aufträge waren:
– Marsch unter Erwartung eines Begegnungsgefechts
– Kampf gegen Luftlandungen
– Verstärktes lnfanteriebataillon (sic!) im Angriff
– Aufklärung, Angriff, Vorausabteilung, Verfolgung
– Überwinden der Elbe, Aufklärung, Entstrahlung, Überwachen

1966-1985: Die Übungsthemen lassen erkennen, daß das Aufklärungsbataillon nunmehr stärker in seiner Hauptaufgabe Aufklärung eingesetzt wurde. Jede Übung forderte: Märsche über weite Entfernungen, oft auch das Überwinden der Elbe, Beziehen eines Raumes und Ansatz von weiträumiger Aufklärung aus diesem Raum heraus. Die zugrundegelegte Gefechtsart der Division war in der Regel der Angriff. Häufig wurde vom Aufklärungsbataillon zum Ende der Übung ein Gefechtsschießen gefordert.

1986-1989: Hier ergibt sich ein völlig neues Profil: Nun wurde nicht mehr der Bewegungskrieg mit der Hauptgefechtsart Angriff geübt, sondern “unter den Bedingungen der neuen l\/Iilitärdoktrin” (wie es in der Jahreschronik 1989 hieß) die Beobachtung der “Staatsgrenze”, auch über längere Zeiträume, und die Zusammenarbeit mit Grenztruppen. Daraus darf man wohl folgern, daß diese “neue Militärdoktrin” erstmalig nicht mehr Angriff “um jeden Preis” vorsah, sondern Krisenmanagement und Flexibilität des Handelns mit einbezog, sich also mehr dem Denken der “Gegenseite” angeglichen hatte.

 

Quelle:
Cord Schwíer: Die Aufklärungstruppe der Nationalen Volksarmee. Zur Geschichte der Aufklärungsbataillone.in: “… und die Aufklärer sind immer dabei”, Munster 2005.

Herausgeber von pzaufkl.de/heeresaufklärer.de. PzAufklAusbKp 3/2, 3./PzAufklBTl 2, BrigSpz 5, Hessisch Lichtenau. div. Wehrübungen. Letzter Dienstgrad Olt.d.R. (vorl.)

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