NVA: Führung, Einsatzgrundsätze und Ausbildung der Aufklärungstruppe

Allgemeine Grundsätze für die Aufklärung in der NVA

In der NVA-Dienstvorschrift 046 /0 /001 – „Gefechtsvorschrift der Landstreitkräfte Division, Brigade, Regiment“ (vergleichbar mit den HDV 100/ 100 und 100/ 900) hieß es unter der Nummer 553: „Die Aufklärung ist die wichtigste Art der Gefechtssicherstellung. Sie stellt die Gesamtheit der Maßnahmen dar, die die Kommandeure aller Stufen, die Stäbe und die Truppen mit dem Ziel der Beschaffung der Aufklärungsangaben über den Gegner und das Gelände im Raum der bevorstehenden Handlungen, die für die Vorbereitung und die erfolgreiche Durchführung des Gefechts benötigt werden, durchzuführen sind.“ ln den folgenden Nummern wurde verlangt, daß alle Truppengattungen, Luftwaffe und Hubschrauberkräfte Aufklärung durchführen und nachstehende Grundforderungen erfüllen:

Aufklärung sollte
– zielstrebig
– ununterbrochen
– aktiv
– rechtzeitig und beweglich
– gedeckt
– zuverlässig und
– genau bei der Koordinatenbestimmung
sein. Diese Forderungen sind nicht neu und bleiben auch in Zukunft überall in der Aufklärung unverzichtbar.

 

 

Der Aufklärungsverbund der Division

Die nachstehende Übersicht zeigt, welche Arten der Aufklärung in einer Division zur Anwendung kamen, sowie die dafür verfügbaren Kräfte.
Truppenauflklärung: Aufklärungsbataillon der Division, Aufklärungskompanie des MotSchützen- bzw Panzerregiments
Funkmessaufklärung: Aufklärungsbataillon, Artillerieregiment, Artillerieabteilung
Funk- und Funktechnische Aufklärung: Funk- und Funktechnische Kompanie des Aufklärungsbataillons
Artillerieaufklärung: alle Artillerieverbände und -einheiten
Pionierauflklärung: Pionierbataillon der Division
ABC-Aufklärung: Bataillon Chemische Abwehr der Division

Verantwortlich für Organisation und Durchführung der Aufklärung war der Stabschef der Division (“erster Stellv. des Kommandeurs”). Der unmittelbare Leitende war der “Leiter Aufklärung der Division”. Ihm oblag es, die Aufklärung zu organisieren, Informationen zu sammeln und weiterzugeben und das Zusammenwirken zwischen den Truppengattungen hinsichtlich der Aufklärung zu organisieren.

Der Aufklärungsverbund wurde auf dem Gefechtsstand der Division organisiert und realisiert; im kleineren Rahmen auch auf den Gefechtsständen der MotSchützen- und Panzerregimenter. In der Praxis bedeutete es; daß die Zelle Aufklärung im Auftrag des Kommandeurs
– den Ansatz der Aufklärung aller Truppengattungen abstimmte und festlegte;
– die Informationen über den Gegner sammelte; auswertete und weiterleitete;
– Informationen von Vorgesetzten (Armee) bei Bedarf anforderte;
– den Informationsbedarf der Vorgesetzten deckte;
– die Funk- und Funktechnische Aufklärungskompanie und die eingesetzten Fernaufklärungsgruppen (bis zu 8) direkt führte.

 

Die Aufklärungsabteilung (AklA)

Zum Thema Aufklärungsabteilung (AklA) spricht die Vorschrift DV 043/0/001 „Taktische Aufklärung Division und Regiment“ im Allgemeinen davon, dass gewöhnlicherweise eine Aufklärungs-, mot. Schützen-, Panzer-, Luftlande- oder Luftlandesturmkompanie als solche eingesetzt wird. Bei Notwendigkeit kann von der Division ein mot.Schützen- oder Panzerbataillon (!) als AKlA eingesetzt werden. Ein als AklA eingesetztes mot. Schützenbataillon (eine mot. Schützenkompanie) kann durch Panzer, Artillerie, Panzerabwehr- und Luftabwehrmittel sowie Einheiten der Pionier- und chemischen Truppen verstärkt werden; eine AklA im Bestand eines Panzerbataillons (einer Panzerkompanie) zusätzlich mit mot.Schützeneinheiten verstärkt werden.

Zur Frage der Aufklärungstiefe findet sich in der DV 043/0/001 „Taktische Aufklärung Division und Regiment“ Ausgabe 1986 sinngemäß, dass die Aufklärungsabteilung (AklA) für die Division in einer Tiefe bis 80 km (an anderer Stelle der DV: bis zu 100 km) aufklärt und für das Regiment bis 50 km. Im Angriff ist die Aufklärung auf die Tiefe der nächsten Aufgabe, in der Verteidigung auf die Tiefe der Reichweite der Mittel zur Bekämpfung durch Feuer auszurichten. Eine AKlA in Bataillonsstärke klärt einen Aufklärungsstreifen von bis zu 10 km auf, eine AKlA in Kompaniestärke bis zu 5 km.

Anmerkung: Hierzu auch die Beschreibung des Verhaltens einer russischen Panzerkompanie in der Rolle als Aufklärungseinheit. (PDF)

Die Hauptanstrengungen der Aufklärung sind bei der Vorbereitung des Angriffs in der Richtung des Hauptstoßes und insbesondere auf das Aufmachen der Objekte des Gegners zu konzentrieren, die durch Kernwaffen bekämpft werden sollen. (DV 043/0/001von 1986; 116 (5) )

In der Praxis wurde die Aufklärungsabteilung (AklA) durch eine Aufklärungskompanie (1 SPz BMP oder BRM 1 K, 2 Züge je 3 SPz BMP, 1 Zug mit 4 SPW 40 P2) gebildet. Die SPW wurden hier oft “halbzugweise” als Aufklärungstrupps (AT) eingesetzt, um eine höhere Aufklärungsbreite zu erreichen, der Einsatz von SPz als AT (zugweise oder paarweise) war ebenfalls möglich, bildete aber eher die Ausnahme.

Im AB wurden in der Regel “selbständige Aufklärungstrupps” (SAT) in Stärke eines verstärkten Zuges (3 SPz BMP, 2 SPW 40P2) gebildet, die Züge konnten aber auch “reinrassig” als SAT eingesetzt werden.

Das AB war in der Lage entweder eine AklA und bis zu drei SAT oder bis zu sechs SAT zu bilden und gleichzeitig einzusetzen. Dann gab es aber bei der Truppenaufklärung keine Reserven mehr.

Abkürzungen:
AB – Aufklärungsbataillon
AklA – Aufklärungsabteilung
AT – Aufklärungstrupp
PD – Panzerdivision
SAT – selbständiger Aufklärungstrupps
SPz – Schützenpanzer
SPW – Spähwagen

 

 

Aufklärungskräfte und -mittel der Division

Kräfte und Einsatzgrundsätze der Truppenaufklärung und der Funk- und Funktechnischen Auklärung

 

a. Aufklärungstruppe
Die Division hatte ein Aufklärungsbataillon und in jedem MotSchiitzen- bzw. Panzerregiment eine Aufklärungskompanie. Ab Mitte der achtziger Jahre verfügten die Aufklärungskompanien im Aufklärungsbataillon und in den Begimentern über die Gefechtsfahrzeuge BMP 1 und SPW 70 oder BMP 1 und SPW 40 P2. Diese Fahrzeuge waren vollkommen identisch mit denen anderer Truppengattungen; ohne besondere Ausstattung; lediglich die Zugfiihrerfahrzeuge hatten ein zweites Funkgerät fiir den UKW-Bereich (VHF) 20 -52 MHz und einen Teleskopmast; der Funkverbindungen bis 70 km ermöglichte.

An Handwaffen waren nur MPi AK 74 vorhanden. Davon konnten in jeder Kompanie 10 MPi mit einem passiven Nachtsichtgerät NSPU ausgestattet werden; mit dem ein Schießen und Beobachten bei Nacht bis zu 500 m möglich war.  Außer dem Panzerabwehrlenkflugkörper „Bagger“ der 2. Generation, der später durch „Fagott“ ersetzt wurde, der Kanone 73mm des BMP 1 und der Panzerbüchse RPG-18. Reichweite bis 300 m, verfügten die Aufklärungskompanien über keine Panzerabwehrwaffen. Ebenso fehlten tragbare Maschinengewehre für den abgesessenen Kampf. Das wirksamste. aber auch einzige spezielle Aufklärungsfahrzeug war der BRM 1 K mit der Funkmeßaufklärungsaustattung PSNR-5 (TALL MIKE).

Aus dem Grundsatz „die Beobachtung ist die Hauptmethode der Aufklärung“ ergab sich die zusätzliche Ausstattung jeder Gruppe / Besatzung der Aufklärungskompanie mit einem Richtkreis PaB 2a. Dieser Richtkreis, der von der Artillerie stammte, ermöglichte ein Anpeilen von Zielen durch mindestens zwei Beobachter und die Koordinatenbestimmung bis zu einer Entfernung von maximal 3 km. Geplant war ab 1989 die Einführung von tragbaren Laserentfernungsmessern vom Typ LEP. Jede Aufklärungskompanie sollte fünf dieser etwa DF-großen Geräte erhalten, mit denen Entfernungen zu Zielen bei quasi-optischer Sicht bis maximal 15 km gemessen werden konnten.

Die Funk- und Funktechnische Aufklärungskompanie war ausschließlich auf dem LKW GAS 66 beweglich. Ihre wichtigsten Aufklärungsträger waren
– der Funkaufklärungsgerätesatz R38 I D2 (TURN SPIKE) zum Abhören und Peilen taktischer UKW-Funkverbindungen (VHF) im Bereich 20 100 MHz
– der Funkaufklärungsgerätesatz R38 1 D2 (TURN TWIST) zum Abhören und Peilen von Richt- und Flugfunkverbindungen im Bereich 80 600 MHZ und
– der Funktechnische Aufklärungsgerätesatz IRL 234 RPS6 (TWIN BOX) zum Suchen, Peilen und Identifizieren von arbeitenden Radarstationen bis 9.81 MHz.

Die Fernaufklärungsgruppen verfügten über MPi AK 74 mit Nachtsichtgeräten. Sie waren entweder auf Pkw (gl) UAZ 469- B oder nach Fallschirmabsprung zu Fuß einsetzbar. Aufgrund der größeren Einsatztiefe waren sie mit HF-Funkgeräten SEG15D (VEB Funkwerk Köpenick) mit einer Reichweite von maximal 120 km ausgerüstet. Im Einsatzfall wuchsen die Fernaufklärer zur Fernaufklärungskompanie mit zwei Zügen zu je vier Gruppen auf.

b. Artillerie

Raketentruppen und Artillerie verfügten neben den Einheiten der Truppenaufklärung über die umfangreichsten und wirkungsvollsten Aufklärungskräfte und sollen etwas ausführlicher erwähnt werden. In der MotSchützendivision waren dies im einzelnen

– im Artillerieregiment die Führungsbatterie mit dem Schallmeß- und Ortungszug; deren wichtigste Bausteine:
   – zwei Funkmeßstationen „SNAR-10“ zur Aufklärung beweglicher und unbeweglicher Ziele mit einer Reichweite von ca. 10 km;
   – ein Schallmesszug zur Aufklärung schießender Batterien;
   – eine Komponente mit Erdbeobachtungsgerätem u.a. ausgerüstet mit optischen Entfernungsmeßgeräten (OEM).
– in jeder schießenden Batterie eine B-Stelle. lm Artillerieregiment mit in der Regel 9 Batterien ergab das 9 B-Stellen; dazu 3 Abteilungskommandeure und ein Regimentskommandeur, also insgesamt 13 B-Stellen.
– in den Artillerieabteilungen der MotSchützenregimenter bzw. des Panzerregiments je schießende Batterie eine B-Stelle mit OEM, in der Abteilung gesamt 4
– in den Granatwerferbatterien der MotSchützenbataillone je eine B-Stelle.

c. Pioniertruppe
Die Pioniertruppen der Division verfügten im Pionierbataillon über einen Pionieraufklärungszug, der 3 Pionieraufklärungstrupps einsetzen konnte. lm MotSchützenregiment bzw. im Panzerregiment setzte die Pionierkompanie gewöhnlich einen Pionieraufklärungstrupp ein. Darüber hinausgehender Einsatz schränkte die übrige Auftragserfüllung der Pioniertruppe ein.

d. ABC-Aufklärung
Die Kernstrahlungs-, chemische und biologische Aufklärung hatte für die Auftragserfüllung der Truppenaufklärung und den Aufklärungsverbund geringere Bedeutung.

 

 

 

Einsatzverfahren der Aufklärungstruppe

Zum Gewinnen von Aufklärungsergebnissen über „den Kampfbestand, die Zugehörigkeit, Kampffähigkeit, Lage, den Charakter der Handlungen und die Absichten des Gegners, das Gelände und den Grad des Pionierausbaus“ sowie neue Kampfmittel und Führungsweisen wurden folgende Methoden der Truppenaufklärung angewandt:

– Beobachtung
– Stoßtruppunternehmen
– Horchdienst
– Überfall
~ Hinterhalt
– gewaltsame Aufklärung

Die Beobachtung durch Augenbeobachtung und mit technischen Mitteln (Nachtsichtgeräte, Funkmessstationen) war die am häufigsten und durch alle Truppen angewandte Methode. Sie mußte in jeder Lage und zu jeder Tages- und Nachtzeit organisiert sein. Dabei war der Einsatz von Beobachtern und Beobachtungsstellen zwischen den Truppenteilen und Einheiten so abzustimmen, dass eine lückenlose Beobachtung auf der gesamten Breite des Gefechtsstreifens der Division möglich war.

Der Horchdienst ergänzte die Beobachtung insbesondere bei eingeschränkter Sicht und wurde von den Beobachtungsstellen aus geführt. Durch Aufklärungskräfte sollten „im Rücken des Gegners“ Ferngespräche über Drahtnachrichtenverbindungen abgehört werden.

Das Ziel von Stoßtruppenunternehmen bestand darin, bei gedeckter Annäherung an ein festgelegtes und zuvor aufgeklärtes Ziel (z.B. einzelne Soldaten, MG-Nester, Beobachtungsstellen) durch überraschenden Überfall Gefangene, Waffen oder Dokumente einzubringen. Dabei waren Artillerieunterstützung oder ein Scheinangriff in einem Nebenabschnitt die Regel. Angewandt wurde diese Methode bei unmittelbarer Berührung mit dem Gegner.

Der Überfall, der von Aufklärungseinheiten im feindbesetzten Hinterland ausgeführt wurde, bestand in überraschendem Angriff zum Einbringen von Gefangenen, Dokumenten, Waffen und Gerät oder zur Vernichtung wichtiger Objekte wie Mittel der Eloka, Führungsstellen und Raketen.

Der Hinterhalt erfolgte durch den selbständigen Aufklärungstrupp oder die Aufklärungsabteilung bzw. die Fernaufklärungsgruppe bei frühzeitiger gedeckter Unterbringung an einer günstigen Stelle entlang der gegnerischen Marschwege (= Überrolleinsatz), um durch überraschenden Überfall Gefangene einzubringen oder Dokumente und Bewaffnung zu erbeuten bzw. Fahrzeuge mit Kernwaffeneinsatzmitteln oder chemischen Waffen zu vernichten. Unterschieden wurden hierbei der Hinterhalt mit massivem Feuerüberfall und der Hinterhalt auf einen unterlegenen Gegner durch überraschendes Sperren des Marschwege bei gleichzeitigem Zugriff.

Die gewaltsame Aufklärung war insofern eine Besonderheit, als sie durch MotSchützen- und Panzertruppenteile angewandt wurde, um Angaben über gegnerische Verbindungen und das Feuer- und Sperrsystem zu erlangen, wenn andere Methoden keine ausreichenden Aufklärungsergebnisse erbrachten. Befohlen wurde die gewaltsame Aufklärung durch den Befehlshaber der Armee oder den Kommandierenden General des Armeekorps.

Eine weitere Quelle zum Gewinnen von Aufklärungsergebnissen war das Verhör von Gefangenen und Überläufern. Die Verhöre sollten durch die Einheit nur kurz geführt werden; anschließend war eine Weiterleitung zum „ausführlichen Verhör“ an den Divisionsstab vorgesehen. Eine gleiche Regelung galt für erbeutete Dokumente sowie neuartige Bewaffnung und Ausrüstungsgegenstände.

 

Bei dieser Beschreibung wird deutlich, daß die Trennung zwischen Gefechtaufklärung als Aufgabe aller Truppen und der taktischen Erdaufklärung durch die Aufklärungstruppe in der NVA nicht so scharf gezogen war wie in der Bundeswehr.

 

Quellen:

Peter Held, Günter Lenz, Ralph Malzahn: Führung, Einsatzgrundsätze und Ausbildung der Aufklärungstruppe. on: “… und die Aufklärer sind immer dabei…”, Munster 2005 (hieraus auch auch die Grafiken)

DV 043/0/001 „Taktische Aufklärung Division und Regiment“ von 1986

 

Herausgeber von pzaufkl.de/heeresaufklärer.de. PzAufklAusbKp 3/2, 3./PzAufklBTl 2, BrigSpz 5, Hessisch Lichtenau. div. Wehrübungen. Letzter Dienstgrad Olt.d.R. (vorl.)

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